Momente der Wahrheit
Der nächste Tag begann mit einem Eklat: Leutnant Hensen, einer der Helikopterpiloten, war nicht zum Antreten um 6.00 Uhr erschienen. Eiligst wurde der gesamte Hangar nach ihm abgesucht, doch der Leutnant blieb verschollen. Niemand hatte ihn das Lager verlassen sehen. Dennoch war er weg. Major Hofer´s Blutdruck ging schon am frühen Morgen durch die Decke. Auf dieser Mission blieb ihm aber auch wirklich nichts erspart. Zum Glück konnte der Copilot eines der anderen Hubschrauber Hensens Platz übernehmen. Mit reichlich Verspätung und einem miesen Gefühl im Bauch konnte die Suche endlich wieder aufgenommen werden.
Hofer hatte auf dem Plan noch am Vorabend Ziele eingezeichnet und durchnummeriert. Diese sollten der Priorität nach von den Suchteams abgearbeitet werden. Erneut flogen auch Krieger und Jessica Slade in einem der Hubschrauber mit. Diesmal im selben wie auch Major Hofer. Dieser hatte nun wirklich andere Gedanken als sich über die Anwesenheit der beiden Zivilisten zu beklagen. Krieger und Jessica hatten ähnliche Gedanken zum Verschwinden des Leutnants. Doch sie trauten sich gegenseitig nicht genug, um auch nur ein Wort darüber zu reden. Beide hatten im Grunde genommen erwartet, daß irgendetwas seltsames geschehen würde. Aber das Verschwinden des Leutnants zu diesem Zeitpunkt schien irgendwie keinen rechten Sinn zu ergeben. Vielleicht hatte er gestern auf dem letzten Flug mit Hofer die Drohne entdeckt, aber den Major nicht informiert? Und nun wollte er der Suchmannschaft irgendwie zuvorkommen? Im Sinne der Mission überwand Krieger seine Abneigung und sprach den Major auf diese Möglichkeit an. Er erwartete schon irgendeine abfällige Bemerkung, doch Hofer zeigte sich erstaunlich aufgeschlossen: „An diese Möglichkeit habe ich auch schon gedacht. Wir werden daher unser Vorgehen anpassen. Nachdem wir den Suchtrupp abgesetzt haben, fliegen wir unsere gestrige Route in entgegen gesetzter Richtung noch mal in niedriger Höhe ab. Wenn der Combot da irgendwo ist, bekommen wir vielleicht eine Peilung.“ Hofer wandte sich nun auch der weiter entfernt sitzenden Jessica zu und schrie gegen den Lärm der Turbinen an: „Dann können Sie beide sich auch mal nützlich machen! 8 Augen sehen mehr als 4!“
Jessica wußte nicht, ob sie sich nun geehrt oder beleidigt fühlen sollte. Sie nickte einfach und vermied ansonsten die Kommunikation mit dem rüpelhaften Offizier. Bald hatten sie die Küste erreicht und steuerten das erste Suchgebiet an. Der Hubschrauber landete. An dieser Stelle lagen zwei ausgewählte Suchziele nah bei einander: Der steinige Wüstenboden ging hier zu einem breiten Streifen sandigen Bodens über. Etwas weiter hinten wuchsen tatsächlich ein paar Palmen und niedriges Buschwerk. Vermutlich die Mündung eines Wadis. Diese Flußläufe führten nur nach der Regenzeit im Herbst Wasser und trockneten dann über das Jahr hinweg langsam aus. Doch wenn es einer Pflanze gelang, ihre Wurzeln dort tief genug in die Erde zu bekommen, dann schaffte sie es vielleicht, die trockensten Monate bis zur nächsten Regenzeit zu überleben. Das Gebiet war nicht klein. Hier gab es doch die ein oder andere Möglichkeit, wo ein abstürzender Combot „verschwunden“ sein konnte. Das Suchteam sprang aus dem Helikopter, dessen Turbinen weiter liefen. Als alle Männer draußen waren, hob der Helikopter wieder ab und platzierte plangemäß noch einen Container Wasser zwischen dem sandigen Teil und dem Wadi. Einen weiteren Container setzten sie hinter dem Wadi ab. Hofer hatte so viele Männer wie möglich für die Suche abgestellt, so blieb ihm nichts anderes übrig als die schweren, isolierten Wasserbehälter selbst abzuladen. Daß er sich nicht zu schade dazu war, selbst Hand anzulegen, wunderte Krieger: „Zumindest hat er nicht NUR negative Charaktereigenschaften“, dachte er sich, sprang auf und half dem Offizier. Zurück an Bord setzte sich Hofer auf den Copilotensitz und leitete den Piloten. Krieger und Jessica saßen an den Fenstern. Sie hatten jeweils ein Fernglas und ein Peilgerät bekommen. Der Hubschrauber flog niedrig. Sie überflogen Felsen und Kanten und kurvten über vereinzelt wachsende dürre Büsche. Als sie sich wieder der Küste näherten, überflogen sie eine kleine, verfallene Hütte.
Plötzlich piepte Kriegers Peilgerät kurz auf, verstummte aber sofort wieder. „Da war was!“, rief Krieger laut. Sofort lies Hofer den Hubschrauber wenden. Ganz langsam überflogen sie den Bereich noch mal. Die Hütte stand direkt an der Felsenküste. Am Fuße des Felsens, der hier fast 10 Meter emporragte, brandeten die Wellen an die Küste. Da war das Piepen wieder. „Wir haben ihn!“, frohlockte Krieger, da unten muß der Combot irgendwo sein!“ Man konnte förmlich spüren, wie die Anspannung im Helikopter sich löste. Jessica atmete tief durch. Hofer dirigierte den Piloten ein kleines Stück weg von der Küste, wo er sicher landen konnte. Hofer und Krieger sprangen aus dem Hubschrauber. Mit geduckten Köpfen verließen sie den Bereich des Rotors und liefen Richtung Meer. Krieger hielt das Peilgerät vor sich. Es piepte nun in immer schnellerer Folge. Der Boden war rotbraun und sandig. Gezielt hielten sie auf die verfallene Hütte zu. Nur dort konnte der Combot irgendwo sein, sonst hätten sie ihn schon gesehen. Vor der Hütte verlief die staubige Straße der Küste entlang. Ein alter Schlagbaum lag abgerissen herum. Seiner Patina nach, schien ihn schon seit Jahrzehnten niemand mehr angefaßt zu haben. „Das ist wohl mal irgendeine Zollstation oder sowas gewesen“, mutmaßte Krieger. Die Hütte hatte vorne eine Türe gehabt und ein großes Fenster. Beides existierte nicht mehr. Nur die entsprechenden Öffnungen waren noch im halb verfallenen Mauerwerk vorhanden. Das Dach war eingefallen und versperrte im Inneren zum Teil den Weg. Im hinteren Bereich der Hütte war ein zweiter Raum vom vorderen Bereich abgetrennt. Krieger betrachtete das Gebäude von außen. Es schien keine Einsturzgefahr zu bestehen, da das Dach ja ohnehin schon eingestürzt war.
Hofer zögerte nicht lange. Er nahm vorsichtshalber sein Sturmgewehr in den Anschlag und drängte sich hinein. Ungeduldig bahnte er sich seinen Weg zu der Öffnung, wo mal die Türe zum hinteren Raum gewesen war. Krieger folgte ihm hinein. Er betrachtete zunächst die Trümmer des Daches auf dem Boden. Es sah nicht so aus, als läge der Combot da drunter. Das Dach schien schon vor langer Zeit eingestürzt zu sein. Die Trümmer waren von einer dicken Schicht aus Staub und Sand bedeckt. Hofer hatte sich schon fast zum hinteren Raum durchgekämpft. Kriegers Peilgerät gab mittlerweile einen penetranten Dauerton von sich. Er schaltete das Gerät ab und steckte es ein. Vorsichtig folgte er Hofer. Dieser hatte inzwischen den hinteren Raum erreicht und stöhnte ärgerlich. An der hinteren Seite der Hütte hätte es eine Öffnung gegeben durch die sie den Raum auch direkt hätten betreten können. Die Hütte stand ungefähr zwei Meter von der Kante des steil abfallenden Felsens entfernt. Ein kleiner Rest des Daches verdeckte die direkte Sicht von oben und warf einen Schatten auf die linke hintere Ecke des Raumes. Genau dorthin war der Combot offensichtlich abgestürzt. „Da liegt das Drecksding!“, rief Hofer lauthals.
Die Drohne lag auf ein paar Trümmern, genau an der hinteren Wand des Gebäudes. „Kein Wunder haben wir den am ersten Tag nicht gesehen, so wie der hier liegt“, knurrte Hofer und streckte seine Hand nach dem Combot aus. „Nicht berühren!“, schrie ihn Krieger sofort an. Verdutzt aber grimmig sah ihn Hofer fragend an. „Ein abgestürzter Combot ist extrem gefährlich! Die Selbstzerstörungsfunktion ist aktiv und man kann nie wissen, ob die Sensoren alle heil geblieben sind. Die kleinste Erschütterung könnte das Ding zur Explosion bringen. Und dann bleibt weder von Ihnen noch von mir oder dieser Hütte irgendwas übrig“, warnte Krieger. „Das ist Ihre Baustelle“, knurrte Hofer, „sorgen Sie dafür, daß wir das Ding gefahrlos bergen können. Ich rufe inzwischen die Teams zurück.“
Zufrieden stapfte er davon in Richtung des Hubschraubers. Krieger folgte ihm. „Ich brauche meinen Koffer“, informierte er den Major. Jessica war inzwischen auch aus dem Helikopter gestiegen, der sich mit abgeschalteten Turbinen in der prallen Sonne gnadenlos aufgeheizt hatte. „Wir haben ihn!“, rief Krieger ihr zu, „er liegt da hinten in der Hütte“. „Kann ich ihn mir ansehen?“, fragte Jessica neugierig. „Können Sie“, mischte sich Hofer ein, „aber nicht anfassen, das Ding ist gefährlich!“. Jessica, die beobachtet hatte, daß Krieger und Hofer von hinter der Hütte gekommen waren, humpelte los. Der sandige Untergrund kam ihr entgegen. Ihre Achillessehne hatte sich zwar inzwischen schon ein wenig gedehnt und sie konnte mittlerweile flach auftreten, aber abwinkeln konnte sie ihren Fuß immer noch nicht richtig. Ein ekliges Ziehen in der Wade begleitete sie nach wie vor bei jedem Schritt. Langsam näherte sie sich der Hütte und ging direkt zur hinteren Seite. Der Abgrund war hier sehr nah, aber es war ausreichend Platz, um gefahrlos zu der Öffnung zu gelangen wo das Gebäude einst seine Hintertüre gehabt hatte. Vorsichtig spähte sie hinein. Die Mittagssonne, die durch das größtenteils eingestürzte Dach fiel, erhellte den Raum. Nur links hinten gab es ein wenig Schatten. Genau dort lag die Drohne. Jessica ging näher heran. Sie hatte schon viel über die Combots gehört, aber noch nie einen aus der Nähe gesehen. Von oben betrachtet sah er überhaupt nicht bedrohlich aus. Er schien auch nicht beschädigt zu sein. Vielleicht hatte die Restenergie gerade noch für eine halbwegs sanfte Landung genügt? Jessica wagte nicht, ihn zu berühren. Der Major hatte sie ja gewarnt. Wobei sie nicht wußte, warum ein Combot ohne Energie so gefährlich sein sollte.
„Sieht fast aus wie ein Spielzeug, was?“, sprach Krieger sie an, als er mit seinem Koffer in der Hand von hinten an sie herantrat. „So etwas in der Art habe ich gerade gedacht“, gab Jessica zu. „Leider ein Spielzeug mit scharfen Waffen und einem hoch energetischen Sprengstoff an Bord“, gab Krieger zu bedenken, „Unterschätzen Sie nicht, was Sie vor sich haben. Was Sie hier sehen, ist ein High-Tech Kriegsgerät.“ Er drängte sich an Jessica vorbei und legte seinen Koffer auf den Boden. Er öffnete ihn, während er fortfuhr: „Sie können sich vorstellen, daß so etwas nicht in falsche Hände fallen darf. Deshalb sind alle Combots mit einer Sprengvorrichtung versehen. Wenn jemand versucht, einen Combot ohne passend codiertes und synchronisiertes Werkzeug zu öffnen, hat er vermutlich keine Zeit mehr darüber nachzudenken, was schief gelaufen ist.“ „Na zum Glück haben wir ja einen Spezialisten dabei, der sicher über ein solches Werkzeug verfügt, oder?“, stichelte Jessica, die sich gerade wie ein Kind behandelt vorkam. „Selbstverständlich!“, bestätigte Krieger, „aber bei so einem Absturz kann leicht irgendwas im Inneren beschädigt worden sein und wir können nicht wissen, ob das gute Stück noch genau so reagiert, wie es sollte. Deshalb sollten SIE jetzt Abstand gewinnen. Bitte gehen Sie in Ihrem eigenen Interesse zurück zum Hubschrauber, bis ich die Drohne entschärft habe. „Ich vertraue Ihnen!“, wiegelte Jessica ab. Sie wollte sich jetzt auf keinen Fall abwimmeln lassen. Wenn Krieger zu den
Verschwörern gehörte, dann würde er womöglich in diesem Augenblick versuchen, Beweise zu vernichten. Natürlich hatte sie keine Ahnung davon, was er da tat. Aber allein ihre Anwesenheit und, daß sie es sah, würde einen solchen Plan vereiteln. „Ich mache hier nicht weiter, so lange Sie da stehen“, weigerte sich Krieger, „das ist kein Spaß! Kollegen von mir sind bei so etwas schon ums Leben gekommen – mehrere! Ich möchte nicht daran Schuld sein, wenn Ihnen etwas passiert. Das hat sogar unser schneidiger Major Hofer eingesehen, oder?“ Jessica mußte grinsen und Krieger zwinkerte ihr zu, als er seine verbale Trumpfkarte spielte: „Und unter uns – Sie sind um Welten intelligenter – enttäuschen Sie mich jetzt bitte nicht!“ Jessica verdrehte die Augen. So kamen sie nicht weiter. Sie tat so, als sehe sie es ein und bewegte sich langsam ein paar Schritte zurück. Sie ging hinter die Ecke der Hütte, aus Kriegers Sichtfeld.
Jessica warf einen Blick zum Hubschrauber hinüber. Hofer lief dahinter offenbar mit seinem Funkgerät auf und ab. Der Pilot saß immer noch in der Maschine. Vorsichtig schlich sie sich wieder an die Hütte heran. Krieger warf einen flüchtigen Blick nach draußen. Hoffentlich hatte sich diese Wichtigtuerin jetzt endlich entfernt. Er öffnete den Koffer und nahm den vorkonfigurierten Schrauber heraus. Der Combot lag so, daß er halbwegs gut an die Wartungsklappe herankam. Jessica hatte sich inzwischen wieder bis zur Tür herangeschlichen und spähte hinein. Krieger hatte ein Werkzeug in der Hand und wollte sich gerade an der Drohne zu schaffen machen. Er setzte den Schrauber an und wartete auf das grüne Kopplungssignal. Doch der Schrauber leuchtete rot. „Was soll das denn?“, fragte sich Krieger verwirrt. Er steckte das handliche Werkzeug in seine Hosentasche und wandte sich wieder seinem Koffer zu. Zum Glück hatte er ja einen zweiten Schrauber vorcodiert. Er holte ihn aus dem Koffer, setze ihn an den Combot an und wartete auf die Synchronisierung. Doch statt des grünen Signals blieb auch dieser Schrauber rot. Plötzlich piepte es. Auch Jessica hatte das Piepen gehört. Sie machte noch einen Schritt weiter nach vorne, um besser sehen zu können. „Ich glaub‘ ich spinne?!“, wunderte sich Krieger. Der Schrauber sollte nur bei positiver Kopplung piepen. Auch die Art des Piepens hatte er bei einem solchen Schrauber noch nie gehört. Er wollte ihn sich genauer ansehen, da rutsche er ihm aus der Hand, fiel herunter, auf die Kante eines Steins und kullerte unter den Combot. „Auch das noch!“, ärgerte sich Krieger. Das Ganze schien nicht so zu laufen, wie es sich der Ingenieur vorgestellt hatte. Er kniete sich hin und angelte mit der Hand nach dem Schrauber. Nachdem er ihn nicht sofort zu fassen bekam, beugte er sich nach unten und schaute unter die Drohne. Da lag der Schrauber – und direkt daneben eine Sprengmine mit einer Digitalanzeige. Rot leuchtend zählte der Zünder die Sekunden herunter „4, 3..“
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Exodus E-Book ISBN: 978-3-9819187-0-0
Exodus Taschenbuch ISBN: 978-3-9819187-1-7
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